Frau Sumiko Nakamura aus Hiroshima
Ich heiße Sumiko Nakamura und wohne in Mihara in der Präfektur Hiroshima.
Vor 61 Jahren, im August 1945, saßen wir in der ersten Unterrichtsstunde in unserem Klassenzimmer und hatten Moralunterricht. Heute haben die Kinder um diese Jahreszeit Sommerferien, damals jedoch wurden mehr als die Hälfte der Räume unserer Schule von der Armee als Lagerräume genutzt, weshalb es nicht genug Unterrichtsräume gab. Die Sommerferien fielen deshalb aus und die eine Hälfte der Schüler hatte bis mittags, die andere Hälfte ab mittags Unterricht.
Kurz nach Beginn der ersten Stunde zersprangen plötzlich die nach Süden gehenden Fenster. Während ich mich noch über das Leuchten vor dem Fenster wunderte, hörte ich ein enormes Donnern. Wir setzten, wie wir das aus den regelmäßigen Übungen gewohnt waren, sofort unsere Luftschutzkapuzen auf und krochen unter die Tische. Im nächsten Augenblick kam die Explosionswelle.
Danach führten uns die Lehrer in die Sicherheit der Berge hinter der Schule. Als wir von dort in die Richtung schauten, aus der wir das Leuchten gesehen hatten, sahen wir, wie sich jenseits der Berge eine grosse, pilzförmige Wolke auftürmte und Rauch aufstieg.
Es vergingen ca. 30 Minuten, dann begleiteten die Oberstufenschüler uns jüngere Jahrgänge nach Hause. Als wir noch drei Kilometer zu gehen hatten, kamen von Süden her Blechschilder von der Größe halber Tatamis, Eisen- und Holzstücke, Tuchfetzen und anderes vorbeigeflogen oder prasselte zu Boden.
Wir passten also auf, dass uns keiner der Gegenstände traf, während wir weitergingen. Als wir fast zu Hause waren, konnte man meinen, ein Gewitter zöge auf, dann begann zusammen mit dem Unrat pechschwarzer Regen in großen Tropfen vom Himmel zu fallen. Dann sahen wir, dass der in der Nähe gelegene Fluss schwarzes Wasser führte, in welchem Bartgrundel, Karauschen und andere Fische mit dem Bauch nach oben vorbeitrieben.
Darüber freuten wir Kinder uns natürlich und sammelten so viele der toten Fische wie möglich in Eimer oder andere Behälter. Auch ich schaffte so viel ich tragen konnte nach Hause, wurde jedoch von meiner Mutter ausgeschimpft: „Diese Fische sind an Gift gestorben, wirf sie also sofort wieder weg!“ Ich schaffte sie also wieder zum Fluss.
Zwei bis drei Stunden nach der Atombombenexplosion kamen immer mehr Menschen,
1. denen die verbrannte Haut in Fetzen vom Körper hing,
2. deren Körper knallrot war, und die unbekleidet auch heute noch aussehen, als würden sie gleich zusammenbrechen,
3. die von vorne noch ein wenig Kleidung am Leib trugen, deren Rücken aber nackend war,
4. und Frauen, die fast überhaupt nichts mehr auf dem Körper trugen
an uns vorbei, die aus der Stadt flohen. Meine Mutter riss für sie Baumwolltuch in Streifen und gab ihnen Handtücher.
Am ganzen Leib zitternd fragte ich mich, warum plötzlich so furchtbare Dinge geschehen. Obwohl ich noch ein Kind war, sagt ich mir, dies müsse die Hölle auf Erden sein.
So kam es, dass zahlreiche Verletzte aus dem 10 km entfernten Zentrum von Hiroshima an unserem Haus vorbeizogen, und nicht wenige von ihnen starben.
Auch ein Mädchen aus der Nachbarschaft mit Namen Kiyoko Nakayama, die ich sehr mochte, hatte sich in der Nähe der Atombombenexplosion aufgehalten und starb eine Woche später. Sie war in der ersten Jahrgangsstufe der Mädchenschule. Wenn ich sie an ihrem Krankenbett besuchte, dann sagte sie zu mir: „Sumi-chan, gib mir ein wenig Wasser… Wasser…“. Doch wenn ich ihr Wasser geben wollte, dann lehnten die Erwachsenen dies entschieden ab. Mehr als die Hälfte ihres Körpers war verbrannt, und ihr hübsches Gesicht war auf mehr als das Doppelte angeschwollen. Sie konnte außerdem kaum noch sprechen.
Einmal, als sie mich in diesem Zustand zu sich rief, eilte ich zu ihr, und sie flüsterte mir mit schmerzerfüllter Stimme ins Ohr: „Sumi-chan, mit mir geht es zu Ende, aber du musst für mich mitleben!“
Am vierten Tag war es wohl, als der Arzt sagte: „Wenn sie Wasser oder irgendetwas anderes möchte, dann könnt ihr es ihr geben.“ Aber ihr Körper konnte bereits nichts mehr aufnehmen, und drei Tage später starb sie. Auf ihrem von Brandwunden übersäten Körper krochen bereits Unmengen von Maden herum.
In dieser Zeit fanden in unserem Dorf täglich Beerdigungen statt. Es waren für alle Tage voller Trauer und Schmerz.
Seitdem sind 60 Jahre vergangen, und ich, die damals in die sechste Klasse ging, bin 72 Jahre alt geworden. Aber auch wenn ich heute in einer ruhigen Minute die Augen schließe, so tauchen die furchtbaren und traurigen Erlebnisse von damals vor meinem inneren Auge auf, als sei es gestern gewesen.
Durch die Atombombenexplosion starben in Hiroshima mehr als 200 000 Menschen, und auch heute noch leiden zahlreiche Menschen in hohem Alter an den Spätfolgen. Der Schmerz der Hinterbliebenen und Verwandten ist ein bleibender, egal wie viele Jahre ins Land gehen.
Ungefähr in der Mitte des letzten Monats brachte das Hiroshima-Büro des staatlichen Senders NHK eine Reportage, bei der Jugendliche im Friedenspark zu Wort kamen. Einer unter ihnen sagte: „Ohne diesen Krieg wäre es auch nicht zum Abwurf der Atombombe gekommen. Kriege müssen um jeden Preis verhindert werden.“
Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich. Ich dachte mir, dass wenn man nüchtern überlegt, der Krieg und die Bombe eigentlich ein und das selbe sind.
Als am 8. Dezember 1941 der Krieg im Pazifik begann, da war ich 7 Jahre alt und ging in die zweite Klasse. Für mich stand außer Zweifel, dass der Krieg einen gerechten Kampf darstellte und in einem Sieg für Japan enden würde. Aber es kam anders: auf Hiroshima und Nagasaki fielen Atombomben, und Japan kapitulierte. „Ohne diesen Krieg wäre es auch nicht zum Abwurf der Atombombe gekommen.“ Ich glaube, dass der Junge recht hat.
Eingemeißelt in den Gedenkstein für die Opfer der Atombombenexplosion im Friedenspark von Hiroshima finden sich die Worte:
„Ruhet in Frieden, denn wir werden die Fehler nicht wiederholen„.
Diese Worte haben meiner Ansicht nach einen tiefen Sinn.
Ich weiß, wie begrenzt meine Kräfte sind. Aber ich werde auch weiterhin immer, wenn sich eine Gelegenheit bietet, gegen Kriege und Atomwaffen eintreten.