Hidenori Yamaoka aus Hiroshima
Vor 61 Jahren, am 6. August 1945 um 8:15, explodierte 600 m über Hiroshima eine Atombombe. Man geht davon aus, dass in Hiroshima damals ca. 300 000 Menschen lebten, und dass durch die im Moment der Atomdetonation freigesetzten mehrere Millionen Grad ca. 100 000 Menschen verbrannten. Im gleichen Augenblick wurden auch ungezählte Tiere und Pflanzen ausgetilgt. Bis zum Ende des vergangenen Jahres sind darüber hinaus weitere 40 000 Menschen an den Folgen der Atomexplosion gestorben. Auch meine Eltern sind wenige Tage nach dem Atombombenabwurf ihren Brandverletzungen erlegen.
Ich bin eine der Atomwaisen, die ihre Eltern durch die Atombombe verloren haben.
Damals war die Versorgung mit Lebensmitteln katastrophal, und auch bei mir führte die Mangelernährung dazu, dass ich zusehends abmagerte. Die Zeichen meiner damaligen Unterernährung sind auch heute noch an meinen Händen zu sehen. Da meine Eltern nicht mehr lebten, zog ich zu meinem Großvater.
Aber als ich fünf war, starb mein Großvater, und es begann eine schreckliche Zeit für mich: eine Zeit der häuslichen Ungleichbehandlung, Gemeinheit und Gewalt. Mit Ungleichbehandlung meine ich: Wenn sich alle zu den Mahlzeiten versammelt hatten, dann durfte ich nicht mit ihnen zusammen essen. Da ich nicht sehen sollte, was in den Töpfen war, sagte meine Großmutter: „Geh mal ein bisschen weg“. Hatten schließlich alle ihre Mahlzeit beendet, dann war ich an der Reihe, allerdings war dann im Prinzip alles aufgegessen. Hatte es z.B. Fisch gegeben, so gab es für mich nur noch die Gräten. Auch der Reis war alle. Für mich waren nur noch Beilagen wie Süßkartoffeln, Kartoffeln oder Kürbis übrig geblieben. Es war also kein Wunder, dass ich zusehends abmagerte.
Als ich eingeschult wurde, wusste meine Klassenlehrerin um meine Unterernährung und versuchte mir zu helfen. Bei der Schulspeisung bekam ich beispielsweise immer etwas mehr zu essen als die anderen Schüler. An den Samstagen und Feiertagen nahm sie mich mit zu sich nach Hause und klärte mich über das Gute und das Böse in der Welt auf.
Im Juni des Jahres, in welchem ich in die fünfte Klasse ging, hielt ich es schließlich nicht mehr aus, dass meine Großmutter zu mir ständig „Verschwinde!“ oder „Verreck doch!“ sagte. Deshalb beschloss ich eines Tages, mich umzubringen. Ich hatte vorher noch nie in der Schule gefehlt, aber an diesem Tag schwänzte ich und ging den kurzen Weg zum Meer.
Ich wollte lieber sterben als so weiterzuleben und ging deshalb ins Wasser. Als mir das Wasser schon bis zum Hals reichte, hörte ich einen Mann rufen: „He Kleiner, was machst du denn da?“.
Er holte mich aus dem Wasser, nahm mich mit zu sich nach Hause und fragte mich nach den Gründen für mein Handeln, woraufhin ich ihm von den schrecklichen Zuständen bei mir zu Hause berichtete. Der Mann, der mir das Leben gerettet hatte, antwortete: „Es ist nicht schwer zu sterben. Aber wer soll nach deinem Tod das Grab deiner Eltern pflegen?“
Mir wurde klar, dass er Recht hatte. Dann fuhr er fort: „Es gibt im Leben viele Sachen, die schwer zu ertragen sind. Aber man muss die Zähne zusammenbeißen und darf nicht aufgeben.“
Dann kam plötzlich ein Brief, in welchem stand: „Von heute an kannst du mich „Mutter“ nennen. Die „Mutter“ dieses Briefes hatte aus den Nachrichten erfahren, dass es 80 Atomwaisen gäbe und beschlossen, meine Ersatzmutter werden zu wollen. Damals in den 50er Jahren gab es fast noch keine Telefone, weshalb man Briefe schrieb. In meinen Briefen berichtete ich ihr von den Ereignissen meines täglichen Lebens. Sie schickte mir ihrerseits aufmunternde, anspornende Briefe und legte Lebensmittel und Kleidungsstücke bei.
Heute engagiere ich mich in verschiedenen Freiwilligenprojekten, von denen eines darin besteht, über meine Erfahrungen mit der Atombombe zu berichten.
Die Schüler an den japanischen Schulen machen normalerweise Klassenfahrten nach Hiroshima, nehmen hdort z.B. an der Friedenserziehung teil.
Bei einer Bevölkerung von 300 000 Menschen verbrannten 1945 in einem Augenblick 100 000. Bis zum Ende des vergangenen Jahres starben weitere 40 000 Menschen an den Spätfolgen, und auch künftig werden Atombombenopfer sterben. Im letzten Jahr waren es beispielsweise 2400, die von uns gingen. Auch heute noch kämpfen Atombombenopfer unter Schmerzen um ihr Leben. Bis heute wurden 240 000 Existenzen zerstört. Die Zahl der Atombombenopfer, die heute noch leben, liegt bei – mich eingeschlossen – 80 000. Unter der Bevölkerung des von Atombomben getroffenen Japans werden die Spuren dieses entsetzlichen Krieges noch lange deutlich sichtbar sein.
Deshalb habe ich vor, bis an mein Lebensende weiter über meine Erlebnisse zu berichten. Auch die Deutschen haben den Krieg kennen gelernt. Lassen sie uns für eine Welt ohne Kriege kämpfen. Die Atombombe darf kein drittes Mal zum Einsatz kommen.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass ich mich nicht einmal an das Gesicht meiner Mutter erinnere. Manchmal überlege ich, wie es wäre, wenn sie noch leben würde. Ich muss wirklich sehr viel an meine Mutter denken.
Gegenwärtig leben noch ca. 80 000 Atombombenopfer, die Zahl der Todesopfer nach den beiden Atombombenabwürfen beläuft sich auf ca. 240 000, allein im vergangenen Jahr starben in ganz Japan 5 300 Menschen an den Spätfolgen.