Der 6. August 1945 im Tagebuch von Sotobayashi

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Prof. Dr. Hideto Sotobayashi, Berlin

Ich war 16 Jahre alt und ein Schüler der Eliteschule, deren Schüler von der Zwangsarbeit in der Fabrik befreit waren und für die der Unterricht täglich normal durchgeführt wurde. Am 6. August ab 8 Uhr nahmen 24 Schüler am Chemie-Unterricht teil. Der Schulraum war im ersten Stock des Schulgebäudes, das aus Holz gebaut und 1.5 Km entfernt vom Abwurfzentrum der Atombombe war.

Gebäude in Hiroshima, in dem Herr Sotobayashi den Atombombenabwurf erlebte
Bild: © Sotobayashi

Plötzlich, um 8 Uhr 15, während des Unterrichts, ereignete sich ein Blitz, als wäre eine riesige Lampe eingeschaltet. Anschließend donnerte es. Dadurch stürzte das Schulgebäude ein. Blitz bedeutet in Japanisch Pika und Donner Don. Deshalb nennen die Bewohner von Hiroshima die Explosion der Atombombe “ Pika-Don“.

Als ich wieder zu mir kam, sah ich Licht von oben durch ein Loch und war in der Lage, nach der Beseitigung einiger Trümmer, selber ins Freie zu gelangen. So sah ich, dass alle umliegenden Gebäude eingestürzt waren und stellenweise Feuer ausgebrochen war.

Meinen Freund Komyo fand ich unter den Trümmern des Gebäudes eingeschlossen. Er war verletzt und bat um Hilfe. Mit allen Kräften räumte ich Hindernisse aus dem Wege und half ihm, sich aus seiner Not zu befreien. Inzwischen griff das Feuer um sich. Wenn ich nicht schnell geflohen wäre, hätte mich das Feuer erfasst. Obwohl ich Hilferufe von unten hörte, musste ich meinen verletzten Freund Komyo sofort wegführen.

Er hatte eine Kopfverletzung, ein Ohr hing nur noch am Kopf, aber er konnte zu Fuß gehen.
Wir versuchten in Richtung meines naheliegenden Elternhauses in Funairi zu fliehen.
Aber zwei Flüsse waren zu überqueren. Da die Holzbrücken brannten, konnte man nicht zu Fuß gehen. Ich suchte und fand ein kleines Schiff, brachte meinen Freund an Bord und ich selbst schob das Schiff im Wasser schwimmend an bis zum anderen Ufer. Diese Prozedur wiederholte sich am zweiten Fluss. Man hörte, dass eine provisorische Klinik in Eba südlich von Funairi gelegen war. Dorthin brachte ich meinen Freund und verabschiedete mich von ihm. Er stammte aus Himeji.
Später hörte ich, dass er zu seinem Elternhause zurückkehren konnte und dort verstarb.

Mein Haus in Funairi stand südlich 2.0 Km entfernt vom Abwurfzentrum der Atombombe und war aus Holz gebaut. Durch einen Blitz brannte der im Garten zum Lüften hängende Bettbezug. Da mein Vater im Hause war, konnte er sofort das Feuer löschen. Dadurch wurde das Abbrennen des Hauses verhindert.

Meine Mutter war frühmorgens wegen des Pflichtarbeitsdienstes im Zentrum der Stadt, um eine Straße durch die Beseitigung einiger Häuser zu erweitern. Mein Vater war Lehrer einer Mittelschule und sollte normalweise wegen des Arbeitsdienstes mit den Schülern ebenfalls im Zentrum der Stadt sein.
Da meine Mutter frühmorgens unser Haus verließ, blieb mein Vater etwas länger zuhause. Wenn meine Mutter damals kein Pflichtarbeitsdienst gehabt hätte, wäre sie zu Hause und mein Vater wäre im Zentrum der Stadt gewesen. Jedenfalls wäre einer von den Beiden damals im Zentrum der Stadt gewesen.
Wenn die Bombe später explodiert wäre, wären beide im Zentrum der Stadt gewesen.

Damals wohnte der Schüler Okimasu, Sohn einer bekannten Familie aus dem Umland von Hiroshima in unserem Haus.
Nun mussten wir nach Okimasu und meiner Mutter suchen. Zunächst nach Okimasu.

Sein Arbeitsplatz war in der Nähe der Honnkawa-Brücke, nahe des Abwurfzentrums der Atombombe und wir gingen in diese Richtung am Mittag.
Als wir uns dem Zentrum näherten, bot sich uns allmählich ein höllischer Anblick.
Durch die Verbrennungen löste sich bei den Menschen die Haut von den Armen und blieb an den Fingerspitzen lang runter hängen. Die menschlichen Körper waren ganz schwarz verfärbt. Die Leute irrten orientierungslos umher. Eine schreiende Frau hielt ihr totes Kind im Arm.

An der Honnkawa-Brücke bot sich wiederum ein sehr grausamer Anblick.
Um Wasser zu suchen, lagen die Menschen strahlenförmig dicht auf den Ufertreppen des Flusses.

An der Wasseroberfläche lagen viele Leichen. Darunter erregte eine Leiche meine Aufmerksamkeit, weil die schlafende Haltung mit dem gesenkten Kopf dem Schüler Okimasu sehr ähnlich war. Um ihn zu identifizieren, ging ich die Ufertreppe hinunter zum Fluss, wobei ich die gefallenen Menschen seitlich wegdrängen musste.
Dabei stellte ich fest, dass diese Menschen keine Leichen, sondern Überlebende waren.
Die Leute fassten meine Beine mit ihren Händen und baten mich um “ Wasser“ oder „Bitte verbinden Sie sich mit meinem Haus!“.
Aber ich konnte leider gar nichts tun. Ich schwamm zu der von mir ins Auge gefassten Leiche und erkannte tatsächlich Okimasu, und wir brachten ihn in mein Haus.
Bald kamen die Eltern von Okimasu und wir konnten die Leiche übergeben. Das war um 15 Uhr am 6. August.

Nun, um meine Mutter zu suchen, gingen wir zum vermuteten Rotkreuz-Krankennhaus. Dieses Krankenhaus lag in der Nähe des Ortes, wo ich die Atombombe erlebte. Vormittags konnten wir wegen der Brände die Brücken nicht überqueren, aber nachmittags war es möglich.
Da die Gebäude des Rotkreuz-Krankennhauses aus Stahlbeton waren, blieb es erhalten. Aber ein Feuer breitete sich allmählich aus.

Jedes Zimmer war voller Verwundeter und dort suchten wir nach meiner Mutter, aber ohne Erfolg. Das Feuer breitete sich weiter aus und die Leute wurden weitergetrieben.
In einem Zimmer vor dem Feuer fanden wir glücklicherweise meine Mutter. Sie war bei Bewusstsein und hatte keine oberflächliche Verwundung, aber sie konnte sich nicht bewegen.
Wenn wir meine Mutter etwas später gefunden hätten, wäre sie bereits in das Feuer geraten.
Mit einem Fahrradanhänger brachten wir meine Mutter nach Hause. Das war abends am 6. August.

Nach drei Tagen, am 9. August, starb sie mit 35 Jahren.
Wir bauten den Sarg und betteten unsere Mutter selbst ein. Auf einem nahen Acker äscherten wir ihren Leichnam ein. Wir waren sehr glücklich, dass wir meine Mutter gefunden hatten, und sie bis zu ihrem Tode pflegen und ihr das letzte Geleit geben konnten.

Die im Zentrum der Stadt wohnenden Verwandten und Bekannten flohen zu unserem Haus. Diese Leute hatten scheinbar keine Verletzungen. Aber später fielen ihnen die Haare aus und das Zahnfleisch blutete, wie bei akuter Parodontose.
Das war typische Atombombenkrankheit. Diese Leute starben noch in diesem August.