Setsuko Thurlow am Gedenkort

Als 13-Jährige erlebte Setsuko Thurlow das Inferno in Hiroshima und erfuhr danach in Japan Diskriminierung und Ablehnung – erst recht, als sie begann, offen über die Bombe und die Folgen zu sprechen.

… „Thurlow durfte in den USA studieren. Doch nachdem sie einigen Zeitungen Interviews über die Bombenabwürfe und ihre Folgen gegeben hatte, „habe ich ziemlich viel Ärger bekommen“. Die Haltung ihr gegenüber sei feindselig gewesen. So landete die Überlebende in Kanada.

➢ Tagesspielgel vom 06.08.2015: Bericht einer Überlebenden: „Die Menschen in Hiroshima verdampften regelrecht“

Frau Thurlow war Gründungsmitglied und hielt die Grundsatzrede beim internationalen Start von ICAN in Kanada im Jahr 2007.

Am 27.06.2015 war Setsuko Thurlow zu Gast zu einem Gespräch im Thalia Kino Babelsberg mit Sascha Hach von ICAN Deutschland.

Frau Thurlow besuchte den Gedenkort
Bild: © Hiroshima-Platz Potsdam e.V.

➢ Wikipedia: Setsuko Thurlow




Wie ich den Atombombenabwurf erlebte

Frau Sumiko Nakamura aus Hiroshima

Ich heiße Sumiko Nakamura und wohne in Mihara in der Präfektur Hiroshima.

Vor 61 Jahren, im August 1945, saßen wir in der ersten Unterrichtsstunde in unserem Klassenzimmer und hatten Moralunterricht. Heute haben die Kinder um diese Jahreszeit Sommerferien, damals jedoch wurden mehr als die Hälfte der Räume unserer Schule von der Armee als Lagerräume genutzt, weshalb es nicht genug Unterrichtsräume gab. Die Sommerferien fielen deshalb aus und die eine Hälfte der Schüler hatte bis mittags, die andere Hälfte ab mittags Unterricht.

Kurz nach Beginn der ersten Stunde zersprangen plötzlich die nach Süden gehenden Fenster. Während ich mich noch über das Leuchten vor dem Fenster wunderte, hörte ich ein enormes Donnern. Wir setzten, wie wir das aus den regelmäßigen Übungen gewohnt waren, sofort unsere Luftschutzkapuzen auf und krochen unter die Tische. Im nächsten Augenblick kam die Explosionswelle.

Danach führten uns die Lehrer in die Sicherheit der Berge hinter der Schule. Als wir von dort in die Richtung schauten, aus der wir das Leuchten gesehen hatten, sahen wir, wie sich jenseits der Berge eine grosse, pilzförmige Wolke auftürmte und Rauch aufstieg.

Es vergingen ca. 30 Minuten, dann begleiteten die Oberstufenschüler uns jüngere Jahrgänge nach Hause. Als wir noch drei Kilometer zu gehen hatten, kamen von Süden her Blechschilder von der Größe halber Tatamis, Eisen- und Holzstücke, Tuchfetzen und anderes vorbeigeflogen oder prasselte zu Boden.

Wir passten also auf, dass uns keiner der Gegenstände traf, während wir weitergingen. Als wir fast zu Hause waren, konnte man meinen, ein Gewitter zöge auf, dann begann zusammen mit dem Unrat pechschwarzer Regen in großen Tropfen vom Himmel zu fallen. Dann sahen wir, dass der in der Nähe gelegene Fluss schwarzes Wasser führte, in welchem Bartgrundel, Karauschen und andere Fische mit dem Bauch nach oben vorbeitrieben.

Darüber freuten wir Kinder uns natürlich und sammelten so viele der toten Fische wie möglich in Eimer oder andere Behälter. Auch ich schaffte so viel ich tragen konnte nach Hause, wurde jedoch von meiner Mutter ausgeschimpft: „Diese Fische sind an Gift gestorben, wirf sie also sofort wieder weg!“ Ich schaffte sie also wieder zum Fluss.

Zwei bis drei Stunden nach der Atombombenexplosion kamen immer mehr Menschen,

1.  denen die verbrannte Haut in Fetzen vom Körper hing,
2.  deren Körper knallrot war, und die unbekleidet auch heute noch aussehen, als würden sie gleich zusammenbrechen,
3.  die von vorne noch ein wenig Kleidung am Leib trugen, deren Rücken aber nackend war,
4.  und Frauen, die fast überhaupt nichts mehr auf dem Körper trugen

an uns vorbei, die aus der Stadt flohen. Meine Mutter riss für sie Baumwolltuch in Streifen und gab ihnen Handtücher.

Am ganzen Leib zitternd fragte ich mich, warum plötzlich so furchtbare Dinge geschehen. Obwohl ich noch ein Kind war, sagt ich mir, dies müsse die Hölle auf Erden sein.

So kam es, dass zahlreiche Verletzte aus dem 10 km entfernten Zentrum von Hiroshima an unserem Haus vorbeizogen, und nicht wenige von ihnen starben.

Auch ein Mädchen aus der Nachbarschaft mit Namen Kiyoko Nakayama, die ich sehr mochte, hatte sich in der Nähe der Atombombenexplosion aufgehalten und starb eine Woche später. Sie war in der ersten Jahrgangsstufe der Mädchenschule. Wenn ich sie an ihrem Krankenbett besuchte, dann sagte sie zu mir: „Sumi-chan, gib mir ein wenig Wasser… Wasser…“. Doch wenn ich ihr Wasser geben wollte, dann lehnten die Erwachsenen dies entschieden ab. Mehr als die Hälfte ihres Körpers war verbrannt, und ihr hübsches Gesicht war auf mehr als das Doppelte angeschwollen. Sie konnte außerdem kaum noch sprechen.

Einmal, als sie mich in diesem Zustand zu sich rief, eilte ich zu ihr, und sie flüsterte mir mit schmerzerfüllter Stimme ins Ohr: „Sumi-chan, mit mir geht es zu Ende, aber du musst für mich mitleben!“

Am vierten Tag war es wohl, als der Arzt sagte: „Wenn sie Wasser oder irgendetwas anderes möchte, dann könnt ihr es ihr geben.“ Aber ihr Körper konnte bereits nichts mehr aufnehmen, und drei Tage später starb sie. Auf ihrem von Brandwunden übersäten Körper krochen bereits Unmengen von Maden herum.

In dieser Zeit fanden in unserem Dorf täglich Beerdigungen statt. Es waren für alle Tage voller Trauer und Schmerz.

Seitdem sind 60 Jahre vergangen, und ich, die damals in die sechste Klasse ging, bin 72 Jahre alt geworden. Aber auch wenn ich heute in einer ruhigen Minute die Augen schließe, so tauchen die furchtbaren und traurigen Erlebnisse von damals vor meinem inneren Auge auf, als sei es gestern gewesen.

Durch die Atombombenexplosion starben in Hiroshima mehr als 200 000 Menschen, und auch heute noch leiden zahlreiche Menschen in hohem Alter an den Spätfolgen. Der Schmerz der Hinterbliebenen und Verwandten ist ein bleibender, egal wie viele Jahre ins Land gehen.

Ungefähr in der Mitte des letzten Monats brachte das Hiroshima-Büro des staatlichen Senders NHK eine Reportage, bei der Jugendliche im Friedenspark zu Wort kamen. Einer unter ihnen sagte: „Ohne diesen Krieg wäre es auch nicht zum Abwurf der Atombombe gekommen. Kriege müssen um jeden Preis verhindert werden.“

Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich. Ich dachte mir, dass wenn man nüchtern überlegt, der Krieg und die Bombe eigentlich ein und das selbe sind.

Als am 8. Dezember 1941 der Krieg im Pazifik begann, da war ich 7 Jahre alt und ging in die zweite Klasse. Für mich stand außer Zweifel, dass der Krieg einen gerechten Kampf darstellte und in einem Sieg für Japan enden würde. Aber es kam anders: auf Hiroshima und Nagasaki fielen Atombomben, und Japan kapitulierte. „Ohne diesen Krieg wäre es auch nicht zum Abwurf der Atombombe gekommen.“ Ich glaube, dass der Junge recht hat.

Eingemeißelt in den Gedenkstein für die Opfer der Atombombenexplosion im Friedenspark von Hiroshima finden sich die Worte:
Ruhet in Frieden, denn wir werden die Fehler nicht wiederholen„.

Diese Worte haben meiner Ansicht nach einen tiefen Sinn.
Ich weiß, wie begrenzt meine Kräfte sind. Aber ich werde auch weiterhin immer, wenn sich eine Gelegenheit bietet, gegen Kriege und Atomwaffen eintreten.

Kenotaph für die Opfer der Atombombe im Friedenspark Hiroshima. Der oben erwähnte Gedenkstein befindet sich unter dem Bogen
Bild: Sailko, Quelle Wiki Commons (CC BY 3.0)



Durch die Atombombe zur Waise geworden

Hidenori Yamaoka aus Hiroshima

Vor 61 Jahren, am 6. August 1945 um 8:15, explodierte 600 m über Hiroshima eine Atombombe. Man geht davon aus, dass in Hiroshima damals ca. 300 000 Menschen lebten, und dass durch die im Moment der Atomdetonation freigesetzten mehrere Millionen Grad ca. 100 000 Menschen verbrannten. Im gleichen Augenblick wurden auch ungezählte Tiere und Pflanzen ausgetilgt. Bis zum Ende des vergangenen Jahres sind darüber hinaus weitere 40 000 Menschen an den Folgen der Atomexplosion gestorben. Auch meine Eltern sind wenige Tage nach dem Atombombenabwurf ihren Brandverletzungen erlegen.

Ich bin eine der Atomwaisen, die ihre Eltern durch die Atombombe verloren haben.

Damals war die Versorgung mit Lebensmitteln katastrophal, und auch bei mir führte die Mangelernährung dazu, dass ich zusehends abmagerte. Die Zeichen meiner damaligen Unterernährung sind auch heute noch an meinen Händen zu sehen. Da meine Eltern nicht mehr lebten, zog ich zu meinem Großvater.

Aber als ich fünf war, starb mein Großvater, und es begann eine schreckliche Zeit für mich: eine Zeit der häuslichen Ungleichbehandlung, Gemeinheit und Gewalt. Mit Ungleichbehandlung meine ich: Wenn sich alle zu den Mahlzeiten versammelt hatten, dann durfte ich nicht mit ihnen zusammen essen. Da ich nicht sehen sollte, was in den Töpfen war, sagte meine Großmutter: „Geh mal ein bisschen weg“. Hatten schließlich alle ihre Mahlzeit beendet, dann war ich an der Reihe, allerdings war dann im Prinzip alles aufgegessen. Hatte es z.B. Fisch gegeben, so gab es für mich nur noch die Gräten. Auch der Reis war alle. Für mich waren nur noch Beilagen wie Süßkartoffeln, Kartoffeln oder Kürbis übrig geblieben. Es war also kein Wunder, dass ich zusehends abmagerte.

Als ich eingeschult wurde, wusste meine Klassenlehrerin um meine Unterernährung und versuchte mir zu helfen. Bei der Schulspeisung bekam ich beispielsweise immer etwas mehr zu essen als die anderen Schüler. An den Samstagen und Feiertagen nahm sie mich mit zu sich nach Hause und klärte mich über das Gute und das Böse in der Welt auf.

Im Juni des Jahres, in welchem ich in die fünfte Klasse ging, hielt ich es schließlich nicht mehr aus, dass meine Großmutter zu mir ständig „Verschwinde!“ oder „Verreck doch!“ sagte. Deshalb beschloss ich eines Tages, mich umzubringen. Ich hatte vorher noch nie in der Schule gefehlt, aber an diesem Tag schwänzte ich und ging den kurzen Weg zum Meer.

Ich wollte lieber sterben als so weiterzuleben und ging deshalb ins Wasser. Als mir das Wasser schon bis zum Hals reichte, hörte ich einen Mann rufen: „He Kleiner, was machst du denn da?“.

Er holte mich aus dem Wasser, nahm mich mit zu sich nach Hause und fragte mich nach den Gründen für mein Handeln, woraufhin ich ihm von den schrecklichen Zuständen bei mir zu Hause berichtete. Der Mann, der mir das Leben gerettet hatte, antwortete: „Es ist nicht schwer zu sterben. Aber wer soll nach deinem Tod das Grab deiner Eltern pflegen?“

Mir wurde klar, dass er Recht hatte. Dann fuhr er fort: „Es gibt im Leben viele Sachen, die schwer zu ertragen sind. Aber man muss die Zähne zusammenbeißen und darf nicht aufgeben.“

Dann kam plötzlich ein Brief, in welchem stand: „Von heute an kannst du mich „Mutter“ nennen. Die „Mutter“ dieses Briefes hatte aus den Nachrichten erfahren, dass es 80 Atomwaisen gäbe und beschlossen, meine Ersatzmutter werden zu wollen. Damals in den 50er Jahren gab es fast noch keine Telefone, weshalb man Briefe schrieb. In meinen Briefen berichtete ich ihr von den Ereignissen meines täglichen Lebens. Sie schickte mir ihrerseits aufmunternde, anspornende Briefe und legte Lebensmittel und Kleidungsstücke bei.

Heute engagiere ich mich in verschiedenen Freiwilligenprojekten, von denen eines darin besteht, über meine Erfahrungen mit der Atombombe zu berichten.

Die Schüler an den japanischen Schulen machen normalerweise Klassenfahrten nach Hiroshima, nehmen hdort z.B. an der Friedenserziehung teil.

Bei einer Bevölkerung von 300 000 Menschen verbrannten 1945 in einem Augenblick 100 000. Bis zum Ende des vergangenen Jahres starben weitere 40 000 Menschen an den Spätfolgen, und auch künftig werden Atombombenopfer sterben. Im letzten Jahr waren es beispielsweise 2400, die von uns gingen. Auch heute noch kämpfen Atombombenopfer unter Schmerzen um ihr Leben. Bis heute wurden 240 000 Existenzen zerstört. Die Zahl der Atombombenopfer, die heute noch leben, liegt bei – mich eingeschlossen – 80 000. Unter der Bevölkerung des von Atombomben getroffenen Japans werden die Spuren dieses entsetzlichen Krieges noch lange deutlich sichtbar sein.

Deshalb habe ich vor, bis an mein Lebensende weiter über meine Erlebnisse zu berichten. Auch die Deutschen haben den Krieg kennen gelernt. Lassen sie uns für eine Welt ohne Kriege kämpfen. Die Atombombe darf kein drittes Mal zum Einsatz kommen.

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass ich mich nicht einmal an das Gesicht meiner Mutter erinnere. Manchmal überlege ich, wie es wäre, wenn sie noch leben würde. Ich muss wirklich sehr viel an meine Mutter denken.

Gegenwärtig leben noch ca. 80 000 Atombombenopfer, die Zahl der Todesopfer nach den beiden Atombombenabwürfen beläuft sich auf ca. 240 000, allein im vergangenen Jahr starben in ganz Japan 5 300 Menschen an den Spätfolgen.

Street car burning on Aioi Bridge August 6, 1945
300 m from the hypocenter Drawn by Yoshio Takahara
Bild: Hiroshima Peace Memorial Museum



Der 6. August 1945 im Tagebuch von Sotobayashi

Prof. Dr. Hideto Sotobayashi, Berlin

Ich war 16 Jahre alt und ein Schüler der Eliteschule, deren Schüler von der Zwangsarbeit in der Fabrik befreit waren und für die der Unterricht täglich normal durchgeführt wurde. Am 6. August ab 8 Uhr nahmen 24 Schüler am Chemie-Unterricht teil. Der Schulraum war im ersten Stock des Schulgebäudes, das aus Holz gebaut und 1.5 Km entfernt vom Abwurfzentrum der Atombombe war.

Gebäude in Hiroshima, in dem Herr Sotobayashi den Atombombenabwurf erlebte
Bild: © Sotobayashi

Plötzlich, um 8 Uhr 15, während des Unterrichts, ereignete sich ein Blitz, als wäre eine riesige Lampe eingeschaltet. Anschließend donnerte es. Dadurch stürzte das Schulgebäude ein. Blitz bedeutet in Japanisch Pika und Donner Don. Deshalb nennen die Bewohner von Hiroshima die Explosion der Atombombe “ Pika-Don“.

Als ich wieder zu mir kam, sah ich Licht von oben durch ein Loch und war in der Lage, nach der Beseitigung einiger Trümmer, selber ins Freie zu gelangen. So sah ich, dass alle umliegenden Gebäude eingestürzt waren und stellenweise Feuer ausgebrochen war.

Meinen Freund Komyo fand ich unter den Trümmern des Gebäudes eingeschlossen. Er war verletzt und bat um Hilfe. Mit allen Kräften räumte ich Hindernisse aus dem Wege und half ihm, sich aus seiner Not zu befreien. Inzwischen griff das Feuer um sich. Wenn ich nicht schnell geflohen wäre, hätte mich das Feuer erfasst. Obwohl ich Hilferufe von unten hörte, musste ich meinen verletzten Freund Komyo sofort wegführen.

Er hatte eine Kopfverletzung, ein Ohr hing nur noch am Kopf, aber er konnte zu Fuß gehen.
Wir versuchten in Richtung meines naheliegenden Elternhauses in Funairi zu fliehen.
Aber zwei Flüsse waren zu überqueren. Da die Holzbrücken brannten, konnte man nicht zu Fuß gehen. Ich suchte und fand ein kleines Schiff, brachte meinen Freund an Bord und ich selbst schob das Schiff im Wasser schwimmend an bis zum anderen Ufer. Diese Prozedur wiederholte sich am zweiten Fluss. Man hörte, dass eine provisorische Klinik in Eba südlich von Funairi gelegen war. Dorthin brachte ich meinen Freund und verabschiedete mich von ihm. Er stammte aus Himeji.
Später hörte ich, dass er zu seinem Elternhause zurückkehren konnte und dort verstarb.

Mein Haus in Funairi stand südlich 2.0 Km entfernt vom Abwurfzentrum der Atombombe und war aus Holz gebaut. Durch einen Blitz brannte der im Garten zum Lüften hängende Bettbezug. Da mein Vater im Hause war, konnte er sofort das Feuer löschen. Dadurch wurde das Abbrennen des Hauses verhindert.

Meine Mutter war frühmorgens wegen des Pflichtarbeitsdienstes im Zentrum der Stadt, um eine Straße durch die Beseitigung einiger Häuser zu erweitern. Mein Vater war Lehrer einer Mittelschule und sollte normalweise wegen des Arbeitsdienstes mit den Schülern ebenfalls im Zentrum der Stadt sein.
Da meine Mutter frühmorgens unser Haus verließ, blieb mein Vater etwas länger zuhause. Wenn meine Mutter damals kein Pflichtarbeitsdienst gehabt hätte, wäre sie zu Hause und mein Vater wäre im Zentrum der Stadt gewesen. Jedenfalls wäre einer von den Beiden damals im Zentrum der Stadt gewesen.
Wenn die Bombe später explodiert wäre, wären beide im Zentrum der Stadt gewesen.

Damals wohnte der Schüler Okimasu, Sohn einer bekannten Familie aus dem Umland von Hiroshima in unserem Haus.
Nun mussten wir nach Okimasu und meiner Mutter suchen. Zunächst nach Okimasu.

Sein Arbeitsplatz war in der Nähe der Honnkawa-Brücke, nahe des Abwurfzentrums der Atombombe und wir gingen in diese Richtung am Mittag.
Als wir uns dem Zentrum näherten, bot sich uns allmählich ein höllischer Anblick.
Durch die Verbrennungen löste sich bei den Menschen die Haut von den Armen und blieb an den Fingerspitzen lang runter hängen. Die menschlichen Körper waren ganz schwarz verfärbt. Die Leute irrten orientierungslos umher. Eine schreiende Frau hielt ihr totes Kind im Arm.

An der Honnkawa-Brücke bot sich wiederum ein sehr grausamer Anblick.
Um Wasser zu suchen, lagen die Menschen strahlenförmig dicht auf den Ufertreppen des Flusses.

An der Wasseroberfläche lagen viele Leichen. Darunter erregte eine Leiche meine Aufmerksamkeit, weil die schlafende Haltung mit dem gesenkten Kopf dem Schüler Okimasu sehr ähnlich war. Um ihn zu identifizieren, ging ich die Ufertreppe hinunter zum Fluss, wobei ich die gefallenen Menschen seitlich wegdrängen musste.
Dabei stellte ich fest, dass diese Menschen keine Leichen, sondern Überlebende waren.
Die Leute fassten meine Beine mit ihren Händen und baten mich um “ Wasser“ oder „Bitte verbinden Sie sich mit meinem Haus!“.
Aber ich konnte leider gar nichts tun. Ich schwamm zu der von mir ins Auge gefassten Leiche und erkannte tatsächlich Okimasu, und wir brachten ihn in mein Haus.
Bald kamen die Eltern von Okimasu und wir konnten die Leiche übergeben. Das war um 15 Uhr am 6. August.

Nun, um meine Mutter zu suchen, gingen wir zum vermuteten Rotkreuz-Krankennhaus. Dieses Krankenhaus lag in der Nähe des Ortes, wo ich die Atombombe erlebte. Vormittags konnten wir wegen der Brände die Brücken nicht überqueren, aber nachmittags war es möglich.
Da die Gebäude des Rotkreuz-Krankennhauses aus Stahlbeton waren, blieb es erhalten. Aber ein Feuer breitete sich allmählich aus.

Jedes Zimmer war voller Verwundeter und dort suchten wir nach meiner Mutter, aber ohne Erfolg. Das Feuer breitete sich weiter aus und die Leute wurden weitergetrieben.
In einem Zimmer vor dem Feuer fanden wir glücklicherweise meine Mutter. Sie war bei Bewusstsein und hatte keine oberflächliche Verwundung, aber sie konnte sich nicht bewegen.
Wenn wir meine Mutter etwas später gefunden hätten, wäre sie bereits in das Feuer geraten.
Mit einem Fahrradanhänger brachten wir meine Mutter nach Hause. Das war abends am 6. August.

Nach drei Tagen, am 9. August, starb sie mit 35 Jahren.
Wir bauten den Sarg und betteten unsere Mutter selbst ein. Auf einem nahen Acker äscherten wir ihren Leichnam ein. Wir waren sehr glücklich, dass wir meine Mutter gefunden hatten, und sie bis zu ihrem Tode pflegen und ihr das letzte Geleit geben konnten.

Die im Zentrum der Stadt wohnenden Verwandten und Bekannten flohen zu unserem Haus. Diese Leute hatten scheinbar keine Verletzungen. Aber später fielen ihnen die Haare aus und das Zahnfleisch blutete, wie bei akuter Parodontose.
Das war typische Atombombenkrankheit. Diese Leute starben noch in diesem August.